Kunst und Freiheit: Wie der CSD in Leipzig mich bewegt hat
Auf einmal musste ich weinen:
Als ich heute mit dem Fahrrad zur Galerie gefahren bin, blockierte die CSD-Demo (das ist eine Demo der queeren Szene zum Christopher Street Day) die Straßen. Am Augustplatz traf ich direkt auf die Demo – und plötzlich liefen mir die Tränen. Was war da los?
Lies meinen Blogartikel und erfahre, warum mich die CSD-Woche in Leipzig und die aktuelle politische Lage so bewegen.
Entdecke, wie Kunst und politische Ereignisse unsere Werte von Freiheit und Vielfalt reflektieren und welche persönlichen Herausforderungen und Hoffnungen ich persönlich dabei erlebe. Vielleicht geht es dir ja auch so?
Plötzlich kamen mir die Tränen: Die aktuelle Situation
Vor einer Woche begann in Leipzig die CSD-Woche. Das ist eine wichtige Veranstaltung für die queere Community und alle, die für Vielfalt, Freiheit und Toleranz eintreten.
Als Teil der Veranstaltungswoche habe ich am 10.08.2024 die Kunstausstellung "Wir wählen Vielfalt" eröffnet, die sich genau diesen Themen widmet. Die Vernissage war super, es gab wunderbare Gäste und die Künstlerinnen Carolin Okon und Luci van Org waren da, Juli Schupa war online dabei, und Lady Diamond hatte ihren großen Auftritt mit einer Travestie-Show.
Wir hatten viel Spaß und ich habe mich sehr über die positive Resonanz gefreut. Doch gleichzeitig zogen dunkle Wolken am Horizont auf.
In Bautzen, nur eine Stunde von Leipzig entfernt, fand zeitgleich eine CSD-Demo statt, die erfreulich viele Menschen anzog.
Doch leider wurde sie von einer erschreckenden rechten Gegendemo begleitet. Hetero und normal wurde da skandiert und viel Angst verbreitet. So viel, dass Bautzen leider die Abschlussfeier des CSD aus Sicherheitsgründen abgesagt hat.
In Leipzig fand die große CSD-Demo am 17.08.24 statt (das ist heute, wo ich diesen Artikel schreibe). Auch hier war eine rechte Gegenveranstaltung geplant – unter dem zynischen Motto „stolz, national, hetero“ (oder so ähnlich, ich habe da mehrere Titel aus verschiedenen Quellen gehört).
Ein Glück verlief der CSD in Leipzig friedlich, dank des entschlossenen Einsatzes der Polizei, die die rechte Demo absperrte. Da standen etwa 500 Menschen auf dem Bahnsteig, mit Reichskriegsflaggen und riefen "Ausländer raus". Das hat mich schockiert.
Diese Demo wurde schließlich frühzeitig wegen Volksverhetzung abgebrochen.
An diesem Tag - also heute - fuhr ich mit dem Fahrrad durch die Stadt, um pünktlich 14 Uhr die Galerie zu öffnen. Mein Weg führte mich direkt durch die CSD-Demo.
Plötzlich, als ich all die feiernden, bunten Menschen sah, fühlte ich eine Welle der Emotionen. Vor meinen Augen sah ich Freude und Zusammenhalt.
Auf einmal kamen mir die Tränen, die ich nicht gleich einordnen konnte. Eine Mischung aus Hoffnung und Furcht?
Jetzt noch, während ich diese Zeilen schreibe, spüre ich all diese verwirrenden Emotionen in mir aufsteigen. Ich selbst bin nicht queer, doch der Moment hatte mich überwältigt.
Persönliche Reflexion
Warum hat mich dieses Ereignis auf einmal so tief berührt?
Normalerweise bin ich nicht so emotional, doch heute war es anders. Es ist, als ob sich all die Sorgen und Ängste, die ich in den letzten Monaten angesammelt habe, plötzlich Bahn gebrochen haben.
Die bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen am 01.09.2024 werfen ihren Schatten voraus. Die Aussicht, dass die AfD in Sachsen klar gewinnen könnte, macht mir große Sorgen.
- Was würde das für unsere Gesellschaft bedeuten?
- Was, wenn in einer nahen Zukunft keine CSD-Demos mehr stattfinden dürfen?
- Was, wenn der Raum für Vielfalt, den wir mühsam erkämpft haben, wieder enger wird?
Ich selbst bin aufgewachsen in Eilenburg, einer sächsischen Kleinstadt - und habe die 90er Jahren nicht nur wild und frei, sondern auch als bedrohlich erlebt. Brutale Angriffe von rechten Gruppen auf unseren alternativen Jugendclub (viele Grüße ans Haus VI) waren fast schon normal.
In meinem Abi-Jahrgang 1999 gab es bei fast 100 Leuten nicht eine Person, die sich in irgendeiner Art als homosexuell oder queer geoutet hat, obwohl sich statistisch aktuell rund 11% der Jugendlichen als queer identifizieren.
Und das machen sie nicht, weil es "in" ist, sondern weil es in der heutigen Zeit endlich möglich ist, ohne schwerwiegende Konsequenzen auf Job, Bildung und vor Allem Sicherheit zu erleben. Das ist hart erkämpfte Freiheit!
Änderungen in der Gesetzgebung und in der Wahrnehmung der Menschen haben das möglich gemacht.
Diese Fragen machen mich emotional, weil es um mehr geht als nur um Politik – es geht um das Recht, du selbst zu sein. Ich schätze diese Freiheit zutiefst, nicht nur für mich, sondern für alle Menschen.
Dabei spüre ich eine tiefe Verbundenheit mit den Menschen, die sich für ihre Rechte und ihre Identität einsetzen müssen.
Es geht hier nicht nur um die queere Community, sondern um uns alle:
Alle, die wir für eine Gesellschaft kämpfen, in der jeder Mensch die Freiheit hat, so zu sein, wie er ist.
Vielfalt und Freiheit erhalten
Vielfalt und Freiheit sind für mich mehr als bloße Schlagworte – sie sind Grundpfeiler unserer Gesellschaft: Jeder Mensch soll die Chance haben, sein wahres Selbst zu leben.
In meiner Arbeit als Galeristin und in Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen und Künstlern sehe ich täglich, wie wichtig es ist, einen Raum zu schaffen, in dem sich Menschen ausdrücken können: Ohne Angst vor Verurteilung.
Kunst bietet genau diesen Raum. Sie feiert das Anderssein, das Unangepasste, das, was uns als Individuen einzigartig macht.
Die Ausstellung, die ich zum CSD in Leipzig eröffnet habe, ist ein Spiegel dieser Überzeugung. Die Werke sprechen über Freiheit, Sexualität, Stolz und Verletzlichkeit. Sie drücken den Mut aus, wie es ist, anders zu sein. Sie zeigen die Schönheit, die in der Vielfalt und dem Unperfekten, in dieser Andersartigkeit liegt.
Diese Werte, die für mich so selbstverständlich erscheinen, stehen derzeit unter Beschuss.
Wenn ich an die Zukunft denke, befürchte ich, dass die Freiheiten, die wir heute genießen, zunehmend eingeschränkt werden könnten.
Die politischen Entwicklungen in Sachsen und darüber hinaus lassen mich zweifeln, ob Vielfalt und Freiheit weiterhin eine Basis unserer Gesellschaft bleiben werden.
Diese Gedanken macht mich traurig und wütend zugleich. Denn ich weiß, wie wichtig es ist, dass Menschen sich frei ausdrücken können – in der Kunst, in ihrem Leben, in ihrer Identität.
Die Vorstellung, dass diese Freiheit bedroht sein könnte, lässt mich nicht los. Deshalb fühle ich eine so starke Verbindung zu den Menschen, die auf der CSD-Demo für ihre Rechte einstehen.
Hilft politisches Engagement?
Mich haben die aktuellen Ereignisse dazu gebracht, darüber nachzudenken, wie ich mich aktiv für die Werte einsetzen kann, die mir am Herzen liegen.
Ja, ich nutze meine Galerie als Raum für Kunst, als Begegnungsort für Menschen, die sich für wichtige Werte einsetzen.
Politisches Engagement ist eine weitere Möglichkeit, Überzeugungen in die Tat umzusetzen. Doch es ist nicht immer einfach, den richtigen Weg zu finden.
Da ich ein sehr harmoniebedürftiger Mensch bin, finde es herausfordernd, daran zu denken, wie meine eigenen Ansichten aufgenommen werden.
Ich habe darüber nachgedacht, ob und wie ich mich in der politischen Landschaft einbringen kann. Es ist unmöglich, für etwas zu stehen und gleichzeitig zu hoffen, dass alle es mögen werden. Das klappt nicht - Du weißt bestimmt, was ich meine.
Also lerne ich, mich in einem Umfeld zu engagieren, in dem unterschiedliche Meinungen aufeinandertreffen.
Das ist die Essenz der Demokratie - unterschiedliche Meinungen anhören, sich austauschen und einen gemeinsamen Weg finden.
Wichtig ist, dass wir den Dialog suchen und uns für eine offene, inklusive Gesellschaft einsetzen – unabhängig davon, auf welchem Weg wir dies tun. Wir alle können auf unsere eigene Art und Weise einen Beitrag leisten, um die Werte der Vielfalt und Freiheit zu unterstützen.
Aufruf zum Dialog und zur Selbstfürsorge
Während ich diese Gedanken aufschreibe, wird mir klar, wie wichtig es ist, über unsere Ängste und Hoffnungen zu sprechen.
In der heutigen Zeit ruhig und gelassen zu bleiben, ist nicht einfach. Besonders wenn die Zukunft so unsicher scheint.
Doch gerade in solchen Momenten ist es entscheidend, den Dialog zu suchen – mit deinem Partner, den Freundinnen, den Kollegen, Kundinnen und vielleicht auch mit Menschen, die andere Ansichten vertreten.
Was will ich mit diesen Zeilen erreichen?
- Bewegt dich das Thema?
- Hast du ähnliche Gedanken oder eine ganz andere Sicht?
- Wie bist du persönlich in das Thema eingebunden?
Ich möchte dich einladen, deine eigenen Emotionen und Gedanken zu reflektieren.
- Was bedeutet Vielfalt für dich?
- Wie stehst du zu den politischen Entwicklungen, die unsere Freiheit und unser Miteinander beeinflussen?
- Wirst du wählen gehen?
Es kann heilsam sein, diese Fragen zu stellen und offen darüber zu sprechen, was uns bewegt. Nur durch Austausch und gegenseitiges Verständnis können wir Brücken bauen und uns gegenseitig unterstützen.
Dabei ist auch die Selbstfürsorge wichtig. In Zeiten mit großer emotionaler Belastung ist es entscheidend, gut auf sich selbst zu achten. Ich nehme mir gerade bewusst Zeit für Dinge, die mir Freude bereiten und Kraft geben. Das ist bestimmt eine gute Idee!
Egal ob deine Morgenroutine, kreative Aktivitäten, Spaziergänge in der Natur, sich mit Kunst beschäftigen oder einfach mit Menschen zusammen sein, die dir guttun. Indem wir uns selbst stärken, können wir auch für andere da sein.
Hoffnung und Zusammenhalt
Ich finde, trotz all der Herausforderungen und Ängste, die uns aktuell umgeben, gibt es einen Grund zur Hoffnung: Den Zusammenhalt.
Die Menschen, die mich in der Galerie besuchen, die Menschen, mit denen ich arbeite, die Menschen, die ich auf der CSD-Demo in Leipzig gesehen habe - sie zeigen mir, dass es eine starke Gemeinschaft gibt, die für Freiheit und Vielfalt eintritt.
Diese Momente des Miteinanders erinnern mich daran, dass ich nicht allein bin. Es gibt viele Menschen, die die gleichen Werte teilen und für sie einstehen.
Jeder kleine Schritt, den wir in Richtung eines offenen und respektvollen Miteinanders tun, zählt. Ob durch Kunst, durch politisches Engagement oder durch den täglichen Austausch mit den Menschen um uns herum – wir alle können einen Beitrag leisten.
Wir kommen zum Ende dieses Artikels und hier möchte ich dich ermutigen, nicht nur über deine Ängste nachzudenken, sondern auch über die Möglichkeiten, um positiv in die Zukunft zu blicken.
Gemeinsam dafür einsetzen, eine Gesellschaft zu gestalten, in der jeder Mensch frei und ohne Angst leben kann. Eine Gesellschaft, die bunt, vielfältig und voller Hoffnung ist. Kunst liebt Mut.
Geschrieben von: Susanne Höhne, Galeristin der Kunst liebt Mut Galerie in Leipzig
Ich freue mich darauf, gemeinsam mit dir die Welt der Kunst zu erkunden. Schau doch gleich mal in die aktuelle Ausstellung: